"Ab wann ist es Liebe?"


Heute war wieder ein schöner Tag mit Gubacca gewesen. Zufrieden kuschelte ich mich in meine Bettdecke ein und überlegte, ob ich vor dem Schlafen noch ein bisschen fernsehen sollte. Nein, lieber nicht, morgen klingelt der Wecker wieder kurz vor 7 Uhr. Gubacca hatte sich nach der Abendrunde sofort in sein Körbchen neben meinem Bett gelegt und war ungewohnt ruhig. „Er wird doch nicht krank werden?“, überlegte ich. Normalerweise knabberte er vor dem Schlafen noch immer eine Weile auf seinen Kauknochen oder spielte mit Knut, seinem Plüschhund. Aber wahrscheinlich war er einfach müde von dem Toben mit Lennox. Ich war nachmittags wieder mit Susi unterwegs gewesen und die beiden Jungspunde waren viel gerannt. Auf dem Rückweg war ich noch kurz mit Gubacca beim Bäcker gewesen. Zum ersten Mal wartete er dort nicht alleine auf mich, sondern es waren noch zwei weitere Hunde neben ihm angebunden. Ich war richtig stolz auf Zwerg-Riese, dass er so entspannt und ohne zu bellen auf mich gewartet hatte. Mit den beiden Rüden schien er sich gut zu verstehen. Einen von den beiden kannte ich gut. Bennie hatte früher schon immer gemeinsam mit Chiru hier vor dem Bäcker gewartet.

 

Gerade als ich das Licht ausschalten wollte, kam Gubacca zu meinem Bett und legte seine Vorderpfoten auf meine Decke. „Biene, hast du mich lieb?“ „Was ist das denn für eine doofe Frage Gubacca, natürlich habe ich dich lieb!“ „So richtig, richtig doll, wie man einen Hund nur lieb haben kann?“ „Gubacca, wie kommst du denn jetzt auf solche Fragen?“ Bedrückt schaute mich Zwerg-Riese an. „Na, ich war doch heute beim Bäcker angebunden. Und neben mir lag dieser alte, große Hund, der ein bisschen seltsam gerochen hat.“ „Du meinst Bennie, Gubacca. Was hat er mit deiner Frage zu tun?" Gubacca druckste herum. „Er hat gesagt, dass du deinen vorigen Hund viel lieber als mich hattest und mich nie so lieben würdest wie ihn.“ „Ach Zwerg-Riese, glaub doch nicht so einen Unsinn, komm mal her mein Schatz.“ Eigentlich viel zu groß für den Schoß, versuchte Gubacca sich dennoch darauf einzurollen. Ein schwieriges Unterfangen mit 55 cm Körperhöhe, aber irgendwie passte es dann doch. „Schau mal Gubacca, das auf dem Foto auf dem Nachtisch ist Chiru. Du kennst den Geruch von ihm. Dein graues Körbchen in dem du so gerne schläfst, das ist von ihm gewesen. Auch das Schlenkeräffchen ist noch von ihm, mit dem du immer spielst. Chiru war ein ganz besonderer Hund für mich, dass ist richtig. Aber in meinem Herzen ist doch genug Platz für euch beide!“

Skeptisch schaute Zwerg-Riese mich an. „Ich habe dem alten Bennie auch gesagt, dass du mich ganz doll lieben würdest. Worauf er dann meinte, so schnell würde das überhaupt nicht gehen. Er hat mir dann noch etwas von einem blöden Band erzählt, aber da habe ich nicht mehr zugehört. Alte Hunde können immer so ausschweifen beim Erzählen. Ständig erzählen sie davon, wie es war als sie noch jung waren. Und überhaupt, was hat ein doofes Band und dann noch Fäden damit zu tun, wie sehr du mich lieb hast?!“ Oha, ich wusste worauf Bennie anspielte und was er Zwerg-Riese erklären wollte. „Hast du mich sofort geliebt, Biene?“, setzte Gubacca auch sofort nach. „Gubacca, du warst ein so niedlicher Welpe, natürlich habe ich dich sofort lieb gehabt." „Genauso wie den Chiru?“, kam prompt die nächste Frage von Zwerg-Riese. Jetzt kam ich langsam in Erklärungsnot. „Schau mal Gubacca, mit Chiru hatte ich zehn wunderschöne gemeinsame Jahre. Wir haben uns sehr geliebt und das meinte Bennie auch mit dem festen Band. Die gemeinsame Zeit hat uns zusammengeschweißt“. „War Chiru lieber als ich, Biene?“, fragte Zwerg-Riese schon wieder, ohne eine Antwort auf seine vorige Fragen abzuwarten.

Die Zeit nach Chirus Tod war sehr schwer für mich. Nach dem Ausbruch seiner Krankheit blieb uns nur eine Woche bis wir ihn gehen lassen mussten. Viel zu wenig Zeit, um sich mit dem Tod abzufinden. Chiru war gerade 10 Jahre alt geworden - viel zu jung und ich fühlte mich vom Schicksal um drei, vier schöne Jahre mit ihm betrogen. Nachdenklich schaute ich auf das Foto, das neben meinem Bett steht. Es ist ein Selfie von Chiru und mir und wie es für meinen kleinen Tibeter typisch war, gab er sofort Küsschen auf dem Bild. 
Diesmal machte es mir Gubacca nicht so einfach und pochte auf eine Antwort auf seine Frage, ob Chiru lieber gewesen wäre als er. „Naja Zwerg-Riese, Kevin habe ich zu mindestens erst durch dich kennengelernt. Reicht dir das als Antwort?“ „Ich war auch ein ganz lieber Welpe“, kam prompt von Zwerg-Riese. Zärtlich drückte ich Zwerg-Riese und streichelte ihn hinter seine Ohren. „Das warst du auch Zwerg-Riese“. Ich war ganz oft stolz auf dich und habe gestaunt wie souverän du viele Situationen wegsteckt hast. Es ist immer sehr schön für mich, mit dir gemeinsam deine Welt zu entdecken. Aber das ständige in die Klamotten beißen und meine Lieblingstasche zu zerreißen, das fand ich nicht schön.“ Traurig schaute Gubacca mich an. „Und deswegen liebst du mich jetzt nicht so dolle und der alte, doofe Bennie hat doch recht!“ „Bennie ist nicht alt und doof, Gubacca! Er hat Chiru sehr gemocht. Wahrscheinlich war er daher vielleicht nicht ganz so nett zu dir. Leg dich mal neben mich ins Bett, du wirst mir langsam zu schwer auf dem Schoß.“ „Biene, du sagst doch immer das darf ich nicht.“ „Heute machen wir mal eine Ausnahme, komm ruhig.“ Schnell kuschelte sich Zwerg-Riese ganz dicht an mich und schaute mich erwartungsvoll an.

 

„Pass mal auf, mein Schatz, ich erkläre dir, was Bennie mit den Bändern meinte. Als du bei uns eingezogen bist, hast du uns sofort so richtig, richtig, richtig geliebt? Hast du uns vollkommen vertraut und warst du froh von deinem alten Zuhause weg zu sein?“ „Mmmh…“ Ich konnte Gubacca förmlich ansehen, wie er jetzt mal in Erklärungsnot kam. „Also, gemocht habe ich dich schon. Ich fand den Garten cool und endlich hatte ich ein Körbchen nur für mich alleine und das ganze Spielzeug! Ich war so aufgeregt, dass ich meine Geschwister, Mama Otti und Papa Ozzy  in den ersten Stunden ganz vergessen hatte. Später war ich dann doch ein bisschen traurig. Auch meine Ziehmamas habe ich vor dem Einschlafen sehr vermisst. Svea und Sabine waren einfach toll und dich kannte ich ja noch nicht“. Verlegen schaute Zwerg-Riese mich mit seinem typischen Gubacca-Blick an. 

„Siehst du Gubacca, das ist doch vollkommen normal. Am Anfang hat man sich sehr gerne und das kannst du dir wie ein festes Seil vorstellen. Was hat dir in den ersten Tagen mit mir besonders viel Spaß gemacht?“ Wie aus der Pistole geschossen kam von Zwerg-Riese: „Mein blauer Swimmungpool und wie wir da eine Wasserschlacht gemacht haben.“ Naja, dachte ich, das kann man auch anders interpretieren. Der Nachmittag endete mit einem klatschnassen Gubacca und zwei kaputten T-Shirts, in die er hineingebissen hatte… Aber das ließ ich dann mal so stehen. „So Gubacca, dieses für dich schöne Erlebnis ist jetzt ein Faden, der zu dem Seil kommt. Fällt dir noch etwas ein?“ „Ich fand es total klasse, wie du mich in der Welpenschule vor den doofen Hovis beschützt hast Biene!“ „Siehst du und noch ein Faden, der zu den Seil und den vorigen Faden kommt. Wie sieht das Band jetzt aus?“ „Wie soll das Band jetzt aussehen?“, verdutzt schaute Zwerg-Riese mich an. „Ist es dicker?“ „Ja klar!“ „So Zwerg-Riese und jetzt stell dir vor, für jedes schönes gemeinsames Erlebnis kommt immer ein Faden zu dem Strang hinzu. Immer, wenn du dich von mir beschützt gefühlt hast oder das Gefühl hattest, dich auf mich verlassen zu können, wir viel Spaß gemeinsam hatten… Jedes Mal kommt ein Faden hinzu.“ „Und?“ Gubacca verstand immer noch nicht was es mit den Fäden auf sich hatte. „So, jetzt versuche mal das jetzt dickere Seil zu zerreißen. Geht schwer, oder? Wie schwer ist es dann, wenn der dicke Faden noch unzählige dünne Fäden hat? Fast unmöglich, oder? Und genau so ist es mit der Liebe."

 

„Müssen wir dann genau die selben Dinge machen, wie du sie mit Chiru gemacht hast, damit du mich auch sooooo doll lieb hast? Was mochte Chiru?“ Bin ich so wie er?“ Gubacca überschlug sich fast mit seinen Fragen und sah immer noch ein wenig bedrückt aus. „Nein, mein Zwerg-Riese. Auch wenn du Chiru manchmal vom Aussehen ähnelst, du bist in vielen Dingen anders.“ „Ist das schlimm, Biene?“, ängstlich schaute mich Gubacca mit seinen braunen, runden Kulleraugen an. „Nein, das ist es nicht Gubacca! Es ist sogar gut so! Wir beide schreiben unser eigenes gemeinsames Buch des Lebens. Füllen es mit ganz vielen Kapiteln voller Liebe, Vertrauen, Abenteuern und ganz schönen Dingen". „Ich denke wir sammeln Fäden?!“, kam prompt die Frage von Zwerg-Riese. Jetzt musste auch ich grinsen. "Die Fäden sind unsere Geschichten, Zwerg-Riese. Das ist ein Vergleich. „Weißt du noch, wie du beim ersten Kanalspaziergang ins Wasser gerutscht bist und ich dich am Nackenfell herausziehen musste? Was haben wir später darüber gelacht, weil du direkt danach wieder rein wolltest! Das steht schon in unserem Buch. Der erste Ausflug im Fahrradanhänger, bei dem Micky dich geschoben hat. Es war so witzig zu sehen wie stolz du in deinem Anhänger gesessen hast. Unser erster gemeinsamer Urlaub an der Ostsee ist auch ein schönes Kapitel. Es war herrlich zu erleben, wie du sofort in die Wellen gerannt bist und wie viel Spaß du im Wasser hattest. In unserem gemeinsamen Lebensbuch stehen schon ganz viele, tolle Erlebnisse, die uns zusammengeschweißt haben."

„Und du wirst mich dann später auch sehr, sehr lieb haben Biene?“ „Das habe ich jetzt schon mein Schatz.“ Zärtlich drückte ich Gubacca ganz fest an mich. „Und jetzt lass uns schlafen.“ „Darf ich hier bei dir im Bett bleiben?“ Ja das darfst du Gubacca!“  Zögernd schaute Gubacca mich an und fragte „Jede Nacht?!“ „Na du bist mir ja ein Pfiffikus! Das überlegen wir uns morgen. Jetzt machen wir erst einmal eine Ausnahme für heute.“ „Gute Nacht Biene!“ „Nacht Gubacca!“ „Ich habe dich sehr, sehr lieb!“ „Ich habe dich auch sehr, sehr lieb Zwerg-Riese“.