"Und wie lief es diesmal?" "Frag lieber nicht", antwortete Pia ihren Mann Maik. "Der Spaziergang war wieder eine einzige Katastrophe. Luna ist bei jedem Geräusch total ausgeflippt. Es fehlte
nicht viel und sie hätte sich von der Leine losgerissen." Traurig schaute Pia die junge Hündin an. Die ganze Familie hat sich so sehr auf ein Leben mit Hund gefreut. Pia hatte sich schon sehr
lange einen Hund gewünscht. Aber zuerst waren die Kinder noch zu klein und dann kam der Umzug dazwischen. Vor ein paar Wochen fanden Maik und sie dann endlich, dass der richtige Zeitpunkt
gekommen wäre. Warum noch länger warten? Und so machten sie sich im Internet auf die Suche nach einem Hund aus dem Tierschutz. Denn da waren Pia und Maik sich einig: Sie wollten auf jedem Fall
einer armen Seele ein neues Zuhause schenken. Als Pia dann Luna, die zottelige Hündin aus Spanien, auf einer Internetseite entdeckte, wusste sie sofort: Das ist sie! Diese bernsteinfarbigen Augen
mit dem intensiven Blick zogen sie förmlich an.
Danach ging alles sehr schnell. Die Vorkontrolle bestanden sie mit bravour und schon kurze Zeit später konnten sie Luna am Flughafen abholen. In der Nacht zuvor machte Pia kein Auge zu, so
aufgeregt war sie. Bisher kannten sie und ihre Familie die junge Hündin ja nur von Fotos und kleinen Videoausschnitten. Die Organisation hatte sie als pflegeleichten Hund beschrieben. Das war Pia
wichtig, da sie keine Hundeerfahrung hatte. Luna war ein Fundtier, aber vieles sprach dafür, dass sie nicht lange auf der Straße gelebt hatte. Sie wurde zusammen mit einem älteren Rüden
aufgegriffen und in die Tötungsstation gebracht. Dort war sie den Menschen gegenüber sofort sehr aufgeschlossen und freute sich sichtlich über jede Streicheleinheit. So stand es in ihrem kurzen
Steckbrief auf der Vermittlungsseite. Die Begrüßung am Flugplatz fiel dann aber ganz anders aus, als die Familie es sich erhoffte hat. Luna kauerte in der hintersten Ecke ihrer Transportbox
und weigerte sich herauszukommen. "Lassen sie ihr ein wenig Zeit", beruhigte die Flugpatin Pia und ihre Familie. "Das war ja alles mega viel Stress für die kleine Maus. Luna wird sich bei Ihnen
zu Hause schnell einleben. Sie ist ja noch sehr jung." Die Prognose der Flugpatin bewahrheitete sich sogar. Luna gewöhnte sich relativ schnell ein und war im Haus eine verspielte Hündin, die auch
gerne zum Schmusen kam.
Wenn da nicht die Spaziergänge gewesen wären. Kaum verließen sie mit Luna das Haus, hatten sie einen komplett anderen Hund an der Leine. Ein lautes Geräusch oder ein schnell vorbeifahrendes Auto
reichte aus, um die junge Hündin komplett in Panik zu versetzen. Undenkbar, dass eines der Kinder alleine mit Luna spazieren gehen könnte. Auch Maik weigerte sich mittlerweile mit der ängstlichen
Hündin rauszugehen. So war letztendlich Pia diejenige, die alle Runden mit ihr übernahm. Zu ihr hatte Luna bisher die engste Bindung aufgebaut. Pia hoffte, dass es besser würde, wenn Luna gelernt
hätte, ihr zu vertrauen. Leider irrte sie sich mit dieser Einschätzung und Lunas Verhalten und Ängste wurden mit der Zeit immer größer. Mittlerweile war auch Pia vor jedem Spaziergang schon
nervös und gestresst. Ein schlimmer Teufelskreis aus dem sie aber keinen Ausweg fand.
***********
"Haben Sie schon gehört, dass die Krausens ihren Hund wieder abgeben wollen? Immer diese jungen Familien, die sich erst als Tierretter aufspielen möchten und dann überfordert sind!" Das ist
wieder typisch für Frau Sonnenschein, dachte Karl. Selbst hatte sie noch nie einen Hund gehabt, sparte aber nie mit klugen Ratschlägen bei anderen. Erstaunlich wie diese Frau immer über alles
informiert war, was in der Nachbarschaft vor sich geht. Ihm taten Pia und Maik leid. Er hatte mitbekommen wie sehr sie sich auf ihren Hund gefreut hatten. Leider war dann alles ganz anders
gekommen und er hatte das Gefühl, dass sich die Familie und Luna immer weiter voneinander entfernten, anstatt zusammen zu wachsen. Er hätte Pia so gerne ein paar Tipps gegeben. Karl konnte nur zu
gut nachempfinden wie Pia und Maik sich fühlten. Auch sein Bruno war anfangs ein schwieriger Hund gewesen. Heute war der Rüde sein Freund in allen Lebenslagen und gerade nach dem Tod seiner Frau
Gerda eine große Stütze für ihn.
Außerdem hatte Bruno eine wunderbare Gabe mit unsicheren Hunden umzugehen. Er musste an die kleine Fipsy von Frau Meier denken. Fipsy hatte panische Angst vor fremden Hunden. Aber zu Bruno hatte
sie sofort Vertrauen gefasst und Frau Meier traute ihre Augen nicht, als sie die beiden zum ersten Mal über die Wiese flitzen sah. Auch Karl hatte es sehr berührt zu sehen, wie sein großer Rüde
versuchte sich möglichst klein beim Spielen zu machen. Normalerweise war Bruno ein echter Bollerkopf und konnte einen mit seinen 25 Kilo auch schon einmal im Eifer des Gefechtes über den Haufen
rennen. Aber bei der kleinen Fipsy achtete er peinlichst darauf rechtzeitig abzustoppen oder einen Haken zu schlagen. Vielleicht hätte er auf die Hündin von Pia und Maik eine ähnliche Wirkung?
Bisher hatte Karl sich aber nicht getraut Pia anzusprechen und seine Hilfe anzubieten. Er hielt sich bei fremden Menschen immer lieber zurück, weil er Sorge hatte aufdringlich zu erscheinen.
Seine Frau Gerda war sehr kontaktfreudig gewesen und kam mit jedem schnell ins Gespräch. Wie oft hatte sie zu ihm gesagt: "Du musst auch mal offener auf die Leute zu gehen, Karl!" Und sie
hatte so recht damit! Nach ihrem Tod fühlte er sich immer häufiger einsam und alleine. Natürlich hatte er Bruno an seiner Seite - aber ein Hund kann einem auch nicht alles ersetzen, dachte
er manchmal traurig.
Wenn es tatsächlich stimmte was Frau Sonnenschein erzählte - sollte er da lieber nicht über seinen Schatten springen und Pia ansprechen? Nachdenklich verabschiedete er sich von Frau Sonnenschein.
Bei der Familie einfach anzuschellen, kam für ihn auf keinen Fall in Frage. Aber er nahm sich vor Pia beim nächsten Mal anzusprechen, wenn sie ihm auf der Gassirunde mit Bruno begegnen
würde. Das passierte jedoch immer seltener musste er sich eingestehen. Er sah Pia mit der Hündin fast nur noch mit dem Auto wegfahren. Die Gelegenheit kam dann aber doch schneller wie erwartet
und er traf Pia am nächsten Morgen beim Bäcker.
Es kostete Karl zwar einige Überwindung, aber diese Gelegenheit wollte er nicht ungenutzt verstreichen lassen. "Frau Krause, wie läuft es mit Luna? Hat sie sich bei Ihnen eingelebt? Ich freue
mich immer so, wenn ich Luna sehe. Sie erinnert mich immer so an Bruno, als er noch jung war." "Ach Herr Schmidt, wir haben beschlossen Luna wieder abzugeben und haben schon die
Tierschutzorganisation informiert. Sie suchen für uns nach einem neuem Zuhause für sie." Ohne, dass es Pia verhindern konnte liefen ihr die Tränen über das Gesicht. "Ich versuche doch alles
richtig zu machen und ihr draußen die Stärke zu geben, die sie braucht. Aber es funktioniert einfach nicht. Vor ein paar Tagen hat sie sich aus ihrem Geschirr losgerissen und dabei fast vor ein
Auto gelaufen. Vielleicht wäre sie einfach bei jemanden auf dem Land besser aufgehoben als bei uns?"
Wenn Karl mit etwas überhaupt nicht gut umgehen konnte, waren es Tränen. Ihm tat Pia wahnsinnig leid, aber er wusste nicht wie er sie trösten sollte. Unbeholfen klopfte er ihr auf die Schulter
und ärgerte sich auch schon im selben Moment über sich selbst. Seine Frau Gerda hätte jetzt genau die richtigen Worte gefunden und er stand nur wie ein Depp da und kloppte der jungen Frau auch
noch wie ein Pferd auf die Schulter. "Und wenn wir einmal zusammen spazierengehen?" Kaum hatte er die Worte ausgeprochen, hätte er sie am liebsten sofort zurückgenommen. Wie hörte sich das denn
an? Als ob er, Karl Schmidt, der große Hunde-Therapeut wäre. "Bruno hat immer so wenige Spielkameraden zum Toben und ich bin ja nicht mehr so flott bei den Spaziergängen", beeilte er sich noch
nachzuschieben. "Das würden Sie machen Herrn Schmidt?". Hoffnungsvoll schaute Pia Karl an. "Ich habe gestern noch zu Maik gesagt, dass ich mir so einen Hund wie ihren Bruno immer gewünscht habe.
Er ist so anhänglich bei Ihnen und so ruhig." "Vielleicht überträgt sich Brunos Souveränität ja auch auf Luna", machte Karl der jungen Frau Mut. "Was halten Sie davon, wenn wir uns heute
nachmittag am kleinen Wäldchen treffen? Dann können die beiden zusammen toben, ohne dass wir immer auf Autos aufpassen würden?" "Begeistert stimmt Pia zu:"Sehr gerne Herr Schmidt! Und danke!"
Unterschätze nie einen Hund - er ist ein viel besserer Therapeut, als wir Menschen, dachte Karl als er abends von dem Treffen mit Pia und Luna wieder nach Hause fuhr. Bruno und die junge Hündin
hatten sich auf Anhieb toll verstanden. Nachdem Bruno mit Luna eine Weile ausgelassen auf der Wiese getobt hatte, waren sie mit den beiden noch einen kleine Runde durch den Wald gelaufen. Es war
so schön zu sehen, wie sich die junge Hündin an Bruno orientierte und immer dicht neben ihm herlief. Bruno fühlte sich in seiner Rolle als "großer Bruder" sichtlich wohl. Als ob er sich seiner
Aufgabe bewusst wäre, marschierte er ohne nach rechts oder links zu schauen stolz vor ihnen her.
"Hatten sie nicht erzählt, dass Luna mit einem älteren Rüden zusammen aufgegriffen wurde?", fragte Karl Pia. "Vielleicht ist das ja wirklich der Schlüssel zum Erfolg, wie man so schön sagt und
sie braucht einen sicheren Hund an ihrer Seite?" Und Karl hatte recht mit seiner Vermutung. Die gemeinsamen Spaziergänge mit Luna und Bruno wurden schnell zur täglichen Gewohnheit. Anfangs
war Luna auch noch sehr schreckhaft. Aber sobald sie merkte, dass Bruno sich nicht aus der Ruhe bringen ließ, entspannte auch sie sich sichtbar. Aber auch Bruno tat die junge Hündin
gut. Karl hatte in der Vergangenheit oft ein schlechtes Gewissen dem Rüden gegenüber gehabt. Er war viel zu jung schon sehr ruhig geworden. Aber mit seinem fast 70 Jahren war Karl einfach nicht
mehr flott genug, um auch mal ausgelassen mit Bruno zu toben. Sein "Seniorenhaushalt" erschien im oft zu ruhig und langweilig für einen noch recht jungen Hund. Er hatte oft ein
richtig schlechtes Gewissen, wenn Bruno direkt nach dem Spaziergang wieder in seinen Korb marschierte und die Zeit bis zur nächsten Runde verschlief. Manchmal stellte er sich dann sogar die
bange Frage, ob Bruno bei einer jungen Familie mit Kindern glücklicher wäre. Von daher freute er sich sehr, dass der Rüde jetzt regelmäßig eine Spielkameradin hatte. Immer öfters kamen
jetzt auch Pia oder Maik mit den Kindern und Luna zu ihm in den Garten. Die beiden Mädchen waren ganz begeistert wie gelehrig Bruno war und hatten ihn vor kurzem damit überrascht,
dass sie Bruno ein kleines Kunststück beigebracht hatten. Karl genoß es sehr jetzt wieder mehr Sozialkontakte zu haben. Sein stiller "Seniorenhaushalt" war wieder ein lebendiger Ort, wo
viel gelacht wurde. Ein Hund ersetzt einem sehr viel im Leben und ist eine riesengroße Bereicherung - aber der immer enger werdende Kontakt zu der jungen Familie war einfach schön für ihn.
"Heute müssen Sie vor der Gassirunde kurz zu uns rein kommen Karl - die Kinder haben etwas für Bruno und Luna vorbereitet und können es kaum erwarten, wie die beiden reagieren". Und tatsächlich -
da standen die beiden Töchter auch schon in der Haustür und winkten ihm zu. Karl musste richtig über die beiden Mädchen schmunzeln, als sie Bruno und Luna stolz zu einer Girlande mit vielen
Söckchen führten. "Das haben wir mit Mama gestern gebastelt. Das ist ein "Hunde-Adventskalender", erklärt Fina, die ältere der beiden, stolz. Gerührt beobachtete Karl, wie sehr Bruno es genoß bei
den Kindern im Mittelpunkt zu stehen. Zur großen Freude der beiden Mädchen zog Bruno auch sofort an einem der Socken und teilte sich die darin versteckten Leckerchen mit Luna. "Du musst jetzt
aber auch jeden Morgen mit Bruno bei uns vorbeikommen, Onkel Karl", verkündete die kleine Emma. Und so wurde es in der Adventszeit ein festes Ritual, dass er auf dem Rückweg vom Bäcker bei Pia
und ihrer Familie anschellte und Bruno sein Adventssöckchen von der Schnur ziehen durfte.
"Was machen Sie eigentlich Heiligabend Karl", fragte Pia ihn ein paar Tage später auf dem gemeinsamen Spaziergang. "Ach ich mache mir nichts aus Weihnachten", antwortete Karl. Ich werde es mir
mit Bruno auf dem Sofa gemütlich machen und ein bisschen Fernsehen schauen." "Hätten Sie vielleicht Lust zu uns zu kommen? Die Kinder würden sich riesig freuen und Maik und ich auch!" Karl hatte
natürlich sofort wieder Bedenken. Hatte Pia nur aus Höflichkeit gefragt, weil sie Angst hatte er wäre einsam? Mittlerweile kannte Pia Karl aber schon recht gut und bemerkte welchen inneren Kampf
er gerade mit sich selbst ausmachte. "Machen Sie es Bruno zuliebe, Karl! Luna und er sind doch so gerne zusammen und es wird ihm Spaß machen von Fina und Emma verwöhnt zu werden". Karl sprang
über seinen eigenen Schatten und nahm die Einladung an. Und zum ersten Mal seit dem Tod seiner Frau Gerda freute er sich wieder auf Heiligabend. In den kommenden Tagen war er häufig in der Stadt
unterwegs, um Geschenke für die Mädchen zu kaufen. Er freute sich schon darauf, die strahlenden Kinderaugen zu sehen, wenn sie ihre Päckchen öffneten.
Und so stand er dann auch schwer bepackt am Heiligabend bei Pia und ihrer Familie vor der Tür. "Komm schnell rein Onkel Karl", rief die kleine Emma aufgeregt und zog ihn ins Wohnzimmer. Wir
haben jetzt ein zweiten Hundekorb! Du bist doch jetzt so etwas wie unser Opa und da braucht doch auch Bruno ein eigenes Körbchen bei uns. Als Karl später dann sein Geschenk von Pia auspackte,
konnte er die Tränen vor Rührung nicht mehr unterdrücken. Pia war leidenschaftliche Fotografin und hatte ihn, ohne dass er es bemerkt hatte, zusammen mit den Kindern und den beiden Hunden
fotografiert. Das Foto strahlte genau das aus, was er empfand. Bruno hatte nicht nur der ängstlichen Luna mehr Lebensfreude geschenkt, sondern auch ihm fast so etwas wie eine
Familie. Menschen, die ihm sehr wichtig waren und die sein Leben auf eine wunderbare Art bereicherten.
"Hunde sind nicht unser ganzes Leben, aber sie machen unser Leben ganz"* Wieviel Wahrheit doch in diesen Worten steckte, dachte Karl glücklich als er am späten Abend mit Bruno auf dem Heimweg
war. Wie einsam wäre sein Leben, wenn er Bruno nicht hätte und ohne seinen Zauselkopf hätte er Pia und ihre Familie nie näher kennengelernt! Könnte Bruno reden hätte er wahrscheinlich noch ein "
Es gibt nur eins, was besser ist als ein Hund – zwei Hunde!" von sich gegeben... In diesem Sinne wünschen Gubacca und ich euch frohe Weihnachten
* Roger Andrew Caras